Strange man in front of door.

ist2 3454783 no entryHabe das Ende der Zugfahrt genutzt, um den Artikel „Abgebloggt“ in der „Süddeutschen“ zu lesen, obwohl nach Florians Kommentar im medienlese-Wochenrückblick eigentlich klar war, was drinsteht.

Schon der erste Absatz spricht Bände:

Eine junge Frau ruft bei ihrem Friseur an und fragt, ob die Räume des Haarschneiders mit W-LAN ausgestattet seien. Die Friseurin am anderen Ende der Leitung ist überfordert. Nein, sagt sie, wir verwenden Schwarzkopf, kein W-LAN. Ende der Geschichte. Finden Sie weder interessant noch lustig? Deutschlands bekanntestem Mainstream-Weblog, Spreeblick, war diese Anekdote einer Berliner Bloggerin eine Verlinkung an prominenter Stelle wert.

Ehrlich gesagt fand ich die Geschichte, aus der Situation heraus vorgetragen (es ist ja kein Witz, sondern die WLAN-Frage haben wohl viele Laptop-User in einem Café schon mal gestellt, um bei der Bedienung auf völliges Unverständnis zu stossen), durchaus ganz witzig. Julie und Malte haben eben noch ein bisschen Selbstironie. Man bloggt, flickert, twittert zwar, weiss aber durchaus, dass es auch noch massenweise Leute gibt, die keinen Schimmer haben.

Entscheidend ist allerdings die kurze Passage: „eine Verlinkung an prominenter Stelle“. SZ-Autor Johannes Boie hat offenbar für seinen Artikel recherchiert, als der Post „Hirnföhn“ gerade bei Spreeblick oben stand. Und zeigt just mit dieser Formulierung, dass er keine Ahnung hat, wie Blogs die Inhalte präsentieren – immer das neueste zuoberst, daher prominent. Das wiederum ist etwas traurig für jemanden, dessen Name mit der Mailadresse computer-online@sueddeutsche.de verlinkt ist.

Wobei er es gleich im zweiten Absatz dann doch zu wissen scheint, denn Weblogs sind „chronologisch geführt“:

Gewiss, das ist nur ein Beispiel. Aber eines das zeigt, wo Weblogs einzuordnen sind. Knapp 100 der chronologisch geführten Netz-Tagebüchern prägen in Deutschland das Bild von Weblogs – eines der bekanntesten davon ist Spreeblick. Rund 100 000 weitere Weblogs sind bestenfalls öffentlich einsehbare und dennoch private geführte Tagebücher, denen jede gesellschaftliche Relevanz fehlt.

Puh. Über dieses hingeworfene „gesellschaftliche Relevanz“ wird natürlich viel diskutiert, zum Beispiel bei Robert. Dort ist die Argumentationslinie der meisten Kommentatoren etwa: „Wir wollen doch gar keine gesellschaftliche Relevanz, sagen wir auch schon seit Jahren.“

250px-Long tailDazu könnte man allerdings noch einiges mehr sagen. Offenbar hat Johannes Boie noch nichts vom Long Tail gehört, oder er hat es nicht verstanden. Das Modell bezieht sich zwar ursprünglich vor allem auf Geschäftliches, aber man kann es auf viele Dinge rund ums Internet anwenden, auch auf die Möglichkeit öffentlicher Diskussionen. Das Spannende am Internet generell wie auch an Blogs ist doch, dass man praktisch kostenlos publizieren und diskutieren kann und dass daher auch die gelben Bereiche ihre Berechtigung haben. Ich finde es in der Summe gesellschaftlich sehr relevant, wenn es auch Ameisen-Blogs oder Blogs zum Marfan-Syndrom gibt (gerade gegoogelt, hab nicht mal gelesen, was das ist, ich Ignorant).

Die meisten „etablierten“ Medien-Leute sagen einfach seit Jahren nichts anderes als: „Wir sind Grün, und alles Gelbe kann man eh total vergessen, und das wird sich auch nie ändern.“

Nie zu ändern scheint sich vor allem diese Diskussion, denn wir haben sie schon vor genau zwei Jahren geführt, angesichts des Artikels „Internet: Die Revolution, die keine war“ von Guido Mingels. Und deswegen ist eigentlich auch schon alles gesagt, und ich spare mir das kommentieren des weiteren Textes – denn hier erreiche ich bekanntlich sowieso die falschen Leute.

Hut ab allerdings auch einige Wochen später nochmal vor der Schweizer SonntagsZeitung, die Blogwerker Peter Sennhauser – der inzwischen eindeutig mehr Online-Journalist als Print-Journalist ist – einen Artikel über das Verhältnis der beiden Gruppen schreiben liess.

Fotolegende: Die Online-Version des Artikels ist mit einem iStockPhoto namens „strange man in front of door“ illustriert. Die Bildredaktion reicht Hand bei der Obkurisierung der Leute, die sich stolz „Blogosphäre“ nennen. :-)

2 Gedanken zu „Strange man in front of door.“

  1. Hihihi, der Johannes Boie muss ja ganz schön frustriert sein… und für einen „professionellen“ Journalisten macht er doch einige Schreibfehler… ahh, stimmt ja, die „professionellen“ Artikel werden normalerweise vor dem Druck von anderen noch korrigiert. Geht halt nicht online;-)

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